… dann kann er was erzählen. Das kann ich tatsächlich. Allerdings sind die beiden Anekdoten, die ich da erzählen möchte, für mich etwa gar kein Ruhmesblatt. Sie verraten eine gehörige Portion Naivität oder mangelnde Weltgewandtheit, und sie sind mir ein bisschen peinlich.
Trotzdem:
Es sind mittlerweile recht viele Jahre her, da machte ich eine Reise nach Peru und Bolivien. Sie führte mich nach La Paz, in die bolivianische Hauptstadt hoch in den Anden, immerhin auf 3600 Meter über Meer. Der Aufenthalt war zwar interessant, aber körperlich sehr unangenehm. Wegen der Höhe hatte ich jeden Tag stechende Kopfschmerzen, gegen die auch starke Schmerzmittel kaum halfen.
Da alle Einheimischen, und ganz besonders die Indios, einen Hut auf dem Kopf tragen, dachte ich mir, dass ich mir vielleicht auch einen kaufen sollte. Also trat ich in ein Hutgeschäft, in dem eine Gruppe müssiggängerischer Frauen am Quasseln war. Ich verstand natürlich kein Wort. Sie musterten mich mit recht verdutzten Mienen, und eine stattliche Matrone kam dann angewatschelt und fragte mich nach meinem Begehr. Ich verstand sie zwar nicht, es war aber klar, was sie mich fragte. Unter der Zuhilfenahme von Händen und Füssen versuchte ich ihr verständlich zu machen, dass ich einen Hut kaufen wollte. Die stattliche Indiofrau schien mir nun doch ein wenig schwer von Begriff zu sein, denn es brauchte meinerseits einen grossen Aufwand, bis sie kapierte, was ich wünschte.
Sie sammelte schlliesslich einen ganzen Stapel Hüte in verschiedenen Grössen zusammen und legte alle vor mich hin auf einen etwas schäbigen, aber blitzblanken Tresen und fragte mich offenbar, welchen ich denn haben wolle. Ich setzte mir mal einen auf und die Hutverkäuferin machte riesengrosse Augen, soweit das eben mit ihren Schlitzaugen ging. Die Frauengruppe hörte sofort auf mit dem Geschnatter und alle schauten zu mir her. Als ich dann einen zweiten Hut aufsetzte und in den Spiegel guckte, ging ein sehr unhöfliches Gekicher los. Mir wollte einfach kein Hut passen. Alle waren zu klein, und aus dem Gekicher wurde ein herrliches Gelächter, welches ich doch als sehr unanständig empfand. Auch die Hutverkäuferin schnatterte auf mich ein und lachte ständig. Meine Lage empfand ich als sehr misslich: Ich hatte Kopfschmerzen und wurde erst noch von einer Weibergruppe ausgelacht. Gekränkt verliess ich das Hutgeschäft.
Auf dem Rückweg ins Hotel überdachte ich die erlebte Szene und konnte mir keinen Reim darauf machen. Ich hatte etwas Musse, mir die Leute auf der Strasse zu betrachten. Bis mir das entscheidende Licht aufging, dauerte es noch eine ganze Weile! Es trugen alle Männer breite, etwas schlappe Hüte, solche, wie fast alle Ganoven in den alten Gaunerfilmen in Chicago auf dem Kopf hatten. Im Hutgeschäft gab es indessen gar keine von dieser Art. Da waren nur solche mit einer kreisrunden, dunkelbraunen bis schwarzen Krempe und mit einem melonenförmigen Aufsatz zu kaufen. Und genau solche Hüte waren auf einem Männerkopf nirgends zu sehen, aber alle Indiofrauen trugen sie, ohne Ausnahme. Ich trotteliger Gringo war also in ein Geschäft mit Damenhüten getreten.
Die Kopfschmerzen plagten mich sehr und nicht nur sie.

Ein paar Tage später reiste ich nach Puno in Peru, auch an einen so hochgelegenen Ort am Ufer des Titicacasees. Ob ich mit der Eisenbahn oder mit einem Bus oben ankam, weiss ich nicht mehr, aber am Zielort schaute ich mich ein wenig um, wohin es mich verschlagen hatte. Es wuselten, wie ich es auch andernorts erlebt hatte, viele Indiofrauen herum, Aymarafrauen in ihren traditionellen Röcken, die sie laut Reiseführer gegen die Kälte in mehreren Schichten tragen, so dass sie alle pummelig und recht unförmig aussehen.
Am Seeufer schaute ich über den fast unverschämt leuchtend blauen Wasserspiegel, der sich bis zum Horizont hinzog. Da höre ich ganz nahe hinter mir das Knirschen der feinen Kieselsteine. Eine dunkle, fast schwarz gebrannte Frau kauert sich hinter mir hin.  Ich sehe mich nach ihr um und wundere mich darüber, dass sie sich von den anderen abgesondert hat. Die Frau drapiert ihre vielen Röcke schön kreisrund um sich herum, und sie sieht danach so aus wie ein umgestülpter Kupferkessel. So weit, so verwunderlich. Plötzlich scheint es der Frau gar nicht gut zu gehen. Jedenfalls macht sie einen höllisch verkniffenen Gesichtsausdruck, so dass ich annehmen muss, dass sie sich wohl gleich übergeben wird. «Warum um Himmels willen hilft denn niemand?», frage ich mich und schaue zu der Frauengruppe hin, die nicht weit entfernt herumsteht. Alle plappern drauflos und keine kümmert sich um die arme, leidende Kreatur, die da am Boden hockt. Bei dieser dauert das Leiden hingegen nicht sehr lange. Erstaunlich behände steht sie auf und macht sich bedächtig davon, zu der Schnattergruppe hin.
Zurück im Kies blieb ein dunklelbraunes, in der Kälte dampfendes Häufchen.