Das gibt es doch gar nicht! Es kann doch nicht sein, dass der Schlüssel plötzlich nicht mehr zum Sicherheitsschloss am Garderobenschrank passen will! Gleichwohl gelingt es mir nicht, den Metallschrank im Fitnesscenter zu öffnen. Der Schlüssel lässt sich einfach nicht drehen. Ich stehe aber mit Sicherheit vor meinem Kleiderkasten. Oben drauf liegt meine Sporttasche. „Ich kann mich doch verdammt noch mal nicht irren“, fluche ich vor mich hin. Unter der Bank stehen auch meine Schuhe und neben mir plötzlich ein nackter, vor Hitze dampfender Muskelprotz. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches in der Garderobe eines Fitnesscenters, aber der Fleischberg starrt mich wütend und total irritiert an. Er wirkt obendrein bedrohlich, und womöglich würde er gar tätlich werden, wenn er nicht versuchte, sein Gemächt mit einem Handtuch zu verdecken. Das ist nun aber sehr bizarr, dass mir einer so nahe kommt, weil es ihn doch nichts angeht, wenn ich mein Schloss nicht aufkriege. Helfen will er mir ja offensichtlich nicht.
Nein, das nicht, aber seinen Schlüssel zurückhaben, das will er!
War mir das peinlich! Die tausend Entschuldigungen von mir nahm er an, weil ihn folgendes Argument von meiner Harmlosigkeit überzeugte: Ich versuchte ja ganz offensichtlich nicht, an seine Habseligkeiten zu gelangen. Die waren anderswo eingeschlossen. Mit seinem Schlüssel probierte ich nur verzweifelt, meinen eigenen Schrank zu öffnen. Das nahm er mir schon ab, aber vermutlich hält er mich jetzt für einen totalen Spinner, einen harmlosen zwar, den man nicht verprügeln muss, aber für einen Spinner schon. Damit muss ich leben. Ich kann es auch, bin allerdings froh, wenn ich zu anderen Zeiten zum Training gehe als er und wir uns nicht mehr treffen.

Wie bin ich überhaupt zu seinem Schlüssel gekommen?
Nach dem Fitnesstraining gehe ich meist für zehn Minuten ins Dampfbad und lege mich hernach eine gute Viertelstunde auf einen der Liegestühle im Ruheraum. Das tat ich auch an jenem Tag. Ich war kurz eingeschlafen. Noch etwas einer anderen Welt nachträumend, schlurfte ich an der Sauna vorbei  zur Garderobe. Auf einer Metallablage stand ein Duschgel und daneben lag ein Schlüssel. Das Duschgel sah anders aus als meines, der Schüssel aber gar nicht. Der sah genauso aus wie meiner. Folglich nahm ich ihn mit.
Ach ja, meinen eigenen Schlüssel? Den trage ich immer im Bademantel mit mir herum. Auch an jenem Tag natürlich. Die Schlüsselnummer merke ich mir nie. Die kann ich ohne Brille sowieso nicht lesen.