Das fühlt sich auf irgendeine Weise nicht richtig an. Eben habe ich mich hinter das Steuerrad meines Autos gesetzt. Aber als ich die Fahrertüre zuziehen will, ist irgendetwas nicht so wie immer. Ich lasse sie also vorläufig noch offen.
Es ist fast so, wie vor einem Jahr am Meer in Apulien, als mir ein paar Scheisskerle das Auto fast komplett ausgeräumt hatten. Das war so ekelhaft unattraktiv. Gemerkt hatte ich eigentlich fast nichts. Sie verschlossen alles wieder fein säuberlich. Es war aber etwas Unheimliches in der Luft und einiges sehr Konkretes an den Scheiben. An denen hatte es rund um das Fahrzeug unappetitliche Dreckspuren von den Langfingern. Die waren so widerlich, dass es mir sogar noch beim Wegputzen den Magen beinahe umdrehte.
Genauso ist es jetzt natürlich nicht. Abhanden gekommen ist nichts. Und doch fehlt etwas: aber nicht das Navigationsgerät, nicht mein Portemonnaie, nicht meine Fotokamera, nicht meine Lunchtasche, auch nicht das Handy und schon gar nicht meine Kleider. Es fehlt Rasco! Wo ist er denn? Wo ist der gutmütige, tollpatschige Rasco hingekommen? Wieso ist der nicht hinten im Auto drin?
Da erinnere ich mich: Den habe ich ja zum Einkaufen mitgenommen und bei der Schlossapotheke angebunden! Also wie ein geölter Blitz wieder raus aus dem Auto, Türe zugeknallt, und los geht’s durch das Menschengewühle auf dem Trottoir:
«Tschuldigung!» «Oh tut mir leid.» «Tschuldigung!» «Das wollte ich nicht, sorry!» «Ich hab’s eilig!» Und jetzt schleunigst über die Strasse, zweimal. Es ist gut gegangen, zum Glück haben die Fussgänger bei uns Vortritt. Den kann man sogar erzwingen. Das ist zwar nicht klug, doch schliesslich wartet Rasco, der angebundene Labrador.
«Sorry, ich muss pressieren! Aber Sie stehen ja auch … !»
Hoffentlich hat er keine Angst, hoffentlich nicht so, wie damals in den Bergen, als er am ganzen Leib schlotterte, weil er ein wegfahrendes Auto für meines gehalten hatte und wohl meinte, ich hätte ihn da oben allein zurücklassen wollen.
Ich schäme mich und bin wütend. Es ist aber niemand da, auf den ich wütend sein könnte, ausser vielleicht die drei dicken Tratschtanten, die ich beinahe umgerannt hätte. Also nehme ich mich selber ins Visier. Ich bin wütend auf meine Zerstreutheit, auf meine ewigen Tagträumereien, in denen die Wirklichkeit nicht vorkommt und der arme Rasco vergessen geht.
Nun endlich, von Weitem sehe ich ihn. Er hockt auf seinem gutmütigen Hintern und träumt womöglich von seiner Freundin Venta, der Airedalehündin von der Familie Bachmann.
Und schliesslich, wie Hunde halt so sind, diese liebenswertesten Viecher auf der Welt: Er freut sich, als er mich sieht, wackelt mit seinem Balken von Schwanz und gleichzeitig noch mit seinem schweren Körper. Den krümmt er nach vorn und zurück, nach oben und unten und will damit überhaupt nicht aufhören. Er röchelt und ächzt und schnaubt und schnieft, er schnäuzt und rotzt und japst und stöhnt, als ob er einen veritablen Heuschnupfen hätte. Ich bücke mich, um die Hundeleine vom Veloständer zu lösen. Da boxt er mir sein nasskaltes Schnüffelorgan mitten ins Gesicht.
Eigentlich mag ich das überhaupt nicht. Für einmal hingegen bin ich froh darüber, dass er das macht und mir offenkundig nichts nachträgt, nicht das Geringste. Ach was froh: Glückselig bin ich! Ich nehme seinen grossen Schädel in den Arm und drücke rasch meine Nase und meinen Mund auf seinen regennassen Kopf.
Er stinkt. Jetzt aber macht das rein gar nichts.