Ich bin genau drei Jahre später als mein Bruder René auf die Welt gekommen. In der Sekundarschule ging ich deshalb zu den gleichen Lehrern, die sich mit René schon tüchtig abgeplagt hatten. Mir fiel die Aufgabe zu, die «Familienehre» wiederherzustellen. Mein Bruder war ein rechter Galgenstrick, und unser Vater musste alles diplomatische Geschick aufwenden, um zu verhindern, dass er nicht noch im letzten Schuljahr wegen Fehlverhaltens von der Schule verwiesen wurde.
René war im Vorstand der Wangener Bande, einer Bubenbande, die von Wangen ins Nachbardorf nach Brüttisellen mit dem Velo zur Schule fahren musste. Als Mitglied des Vorstandes hat sich mein Bruder auch gleich noch selbst zum Ehrenmitglied ernannt.
Einmal konfiszierten die Lehrer die Velos der Bande, weil diese auf der Strasse so daherkam, dass es für die Autos kein Durchkommen mehr gab, worauf die Autofahrer es sich bequem machten und zu den Lehrern rannten, damit diese bitte nach dem Rechten sehen wollten. Die Lehrer erteilten den Lausbuben also eine Lektion und dachten, dass diese jetzt zu Fuss in die Schule marschieren müssten. Eine hochwirksame Strafe hatten sich die Erzieher ausgedacht, weil die Wegstrecke sicher eine knappe Stunde Fussmarsch ausmachte.
Das Problem allerdings löste dann die Viererbande auf ihre besondere Weise: Einer der Clique, der Werner Rathaus, war Bauernsohn und hatte bereits den Führerschein für Traktoren in der Tasche, ein sehr prestigeträchtiges Dokument. Es hockten sich alle frühmorgens auf den Traktor der Familie Rathaus und knatterten so in die Schule. Es versteht sich von selbst, dass der Traktor auf dem Lehrerparkplatz abgestellt und präsentiert wurde.
Flugs bekamen die Lausbuben die Velos wieder zurück, damit die Geschichte nicht allzu lange die Runde im Dorf machte und die Lehrer nicht weiterhin mit Häme bedacht wurden.
Auch gegen Frau Grunder war die Wangener Bande immer mal wieder aktiv. Frau Grunder war eine ältere Dame, die sich sehr verschroben verhielt und genauso roch, wie ihre drei weissen Ziegen. Sie war ausserdem Besitzerin einer Unmenge von vernachlässigten Hühnern und ging immer barfuss, also auch in Schuhen prinzipiell ohne Socken oder Strümpfe.
Einmal führte sie zu Fuss eine weisse Ziege an einem Strick von Wangen nach Dübendorf zum Ziegenbock, zwecks Grundsteinlegung eines Nachwuchses. Dabei schlurfte sie in ungebundenen, halboffenen und hohen Schuhen an unserem Haus vorbei. Sie beklagte sie sich bei meiner Mutter, die gerade den Eingang sauber machte. «Die Polizei hat mir den Lernfahrausweis weggenommen, hä hä», schnarrte sie mit ihrem Thurgauer Dialekt, «das ist doch nicht recht, hä hä. Einer alten Frau einfach den Fahrausweis wegnehmen, hä hä. Jetzt muss ich zu Fuss mit der Geiss nach Dübendorf laufen, hä hä. Nicht recht ist das, hä hä, einer alten Frau, hä hä.»
René bekam diese Unterhaltung mit und auch, dass die Luft für eine gute lange Zeit rein und für einen Streich äusserst günstig sei. Er benachrichtigte seine Spiessgesellen.
Während der Abwesenheit von der Grunder hatten die Strolche also nichts Gescheiteres im Sinn, als der armen Frau die Eingangstüre zu ihrem Haus mit einem stattlichen Haufen Kuhmist zu versperren. Den Wachhund, immerhin ein furchterregender deutscher Schäfer, hielten sie mithilfe von Schwärmern und Knallfröschen in Schach während ihres schändlichen Tuns.
Wie die Sache ausging, weiss ich nicht mehr, jedenfalls starben Frau Grunder und der Schäferhund eines natürlichen Todes.
Als Prügelknabe der Wangener Bande herhalten musste immer mal wieder Herr Burkhart, der Burki: auch er ein äusserst auffällig gearteter Mann, durchaus ein komischer Vogel, der auf seiner intellektuellen Heubühne eher Stroh eingelagert hatte.
Hinter unserem Haus in Wangen, gerade an den Gemüsegarten der Mutter angrenzend, hatte es ein grosses Erdbeerfeld. Dieses gehörte den Eltern von Werner Rathaus. Werner war eines Tages bei uns zu Besuch, also besser bei seinem Kumpel René, und da konnten die beiden Lümmel durch die Fensterläden beobachten, wie der Burki seinen dicken Hintern gegen unser Haus streckte und dabei war, die ersten reifen Erdbeeren zu pflücken. Wohlverstanden, er stopfte sich nicht nur ein paar köstliche Beeren in den Mund, er hatte gleich ein stattliches Körbchen dabei, eines aus Holz, wie man es zum Pilzesuchen mitnimmt.
Da holten René und Werner flugs das Luftgewehr aus dem Schrank. Sie nahmen den einladenden Hintern von Burki ins Visier, was wegen dessen Dimensionen nicht sehr schwierig war. Sie schossen. Burki suchte fluchend das Weite, war aber zum Glück offenbar unverletzt.
Noch einmal, um der Klarheit willen: Auch er starb dann schliesslich eines natürlichen Todes und man hörte nie, dass er sich Bleikügelchen aus dem Hintern hätte herausoperieren lassen müssen, denn das hätte im Dorf mit Sicherheit die Runde gemacht.
Die Schilderung weiterer Streiche könnte hier fortgeführt werden, wenn mich das Gedächtnis nicht im Stich liesse. Allerdings sei zu meiner Entschuldigung angemerkt, dass die Narreteien immer spärlicher wurden – schlicht deshalb, weil auch Lausbuben älter werden.