Er macht seine Steuererklärung meist rechtzeitig und bezeugt zum Schluss mit seiner Unterschrift, dass er sie wahrheitsgetreu ausgefüllt hat.
An einer Stoppstrasse hält er an.
Die Rechnungen zahlt er fristgerecht. Selten gehen ihm mal Mahnungen durch die Lappen, und dann auch nur jene, die ihm per Mail zugestellt werden und im Spamordner landen. Solche Umstände haben ihm mal eine Betreibungsandrohung eingetragen, die allerdings sicherheitshalber per Post gekommen ist.
Die Haare wäscht er sich fast täglich.
Er bemüht sich, nicht zu viel zu essen, erliegt aber immer wieder den Verlockungen von Süssigkeiten, seit er mit Rauchen aufgehört hat.
Zweimal in der Woche geht er ins Fitness und trainiert das Herz, damit die drei Stents da drinnen keine Nachbarn bekommen.
Er macht möglichst keinen Krach, damit die Mitbewohner im Haus sich nicht gestört fühlen.
Er überfährt keine Sicherheitslinie und lässt dem Linienbus prinzipiell den Vortritt.
Er ist also durch und durch ein Biedermann. Wenn ich in den Spiegel schaue, dann guckt er mich an, dieser Biedermann.
Und dabei hätte ich eines Tages endlich mal die Gelegenheit gehabt, etwas Aufregendes, etwas ganz Freches, einfach etwas Unverschämtes zu tun. Wenn nur das Gewissen nicht immer so hinderlich wäre!
So trug es sich zu: Ich schob nach dem Einkaufen im Zentrum in Dübendorf drunten in der Tiefgarage meinen Einkaufswagen – die sind ja mittlerweile alle fast so gross wie Lastwagen! – in die Reihe zurück. Und siehe da! Was baumelt denn am letztparkierten Wagen? Am Haken unter der Griffstange hängt doch tatsächlich ein praller Schlüsselbund, einer, mit einem Autoschlüssel einer deutschen Nobelmarke und mehreren Passepartouts mit farbigen Ringen dran. Mit Sicherheit ist darunter sogar ein Wohnungsschlüssel, vielleicht sogar noch, ganz unauffällig, einer, der zu einem vollgestopften Tresor passt.
Also, da drückt man doch einfach auf den Autoschlüssel und irgendwo blinkt dann eine tolle Karosse. Wie herrlich – einmal mit einem gemopsten Wagen an allen Blitzern vorbeirasen, die einen in den letzten Jahren immer mal wieder so hinterlistig abgelichtet haben! Jener beim Schulhaus in Schwerzenbach etwa, oder jener in Witikon, auf den ich immer aufpasse, und der Funken sprüht und fast explodiert, wenn ich mal an etwas ganz Harmloses denke. Oder noch besser: Einmal durch die Stadt Zürich fahren und, zur Verblüffung der Fussgänger, der Tram- und Buschauffeure, der Velo- und Töfffahrer, auch der anderen Autofahrer einfach so über alle Rotlichter hinwegrauschen. Aber nur, wenn’s denn niemandem weh und niemandem schaden täte. Denn das soll’s ja nicht, das wäre dann ganz und gar nicht biedermännisch: jemandem schaden. Auch der Dame nicht, die ganz verzweifelt und verschreckt durch die Tiefgarage stöckelt.
Ich rufe sie – aus der Traum!