Die Kollektivstrafe gehörte eigentlich in die längst vergangene Zeit der cholerischen Dorfschulmeister. In Üessikon am Greifensee hat sie überlebt und ist sogar zu einer solchen der optischen Art mutiert, zu einer kollektiven Zumutung.
Aber mal von Anfang an: Fährt man von Mönchaltorf kommend dem Greifensee entlang in Richtung Maur, ist es ratsam, in Üessikon die Geschwindigkeit zu reduzieren, weil die Kantonspolizei da immer mal einen Kasten aufstellt, um damit das kantonale Portemonnaie zu speisen. Es ist jedoch auch ein Gebot der Rücksichtnahme auf die Üessiker, denen es vergönnt ist, in einem ausserordentlich idyllischen Weiler leben zu dürfen. In einer Gegend, über die der Geograf Prof. Emil Egli schrieb: «Hier haben die erdgestaltenden Kräfte die Landschaft in mediterranes Licht getaucht.» Wie viel Respekt und Ehrfurcht kommen einem aus solchen Worten entgegen! Und wie viel despektierliche Aufregung, wie viel Verachtung drückt der im Folgenden beschriebene Artefakt aus!
Da steht dicht an der Strasse eine Hütte: eine Mischung aus Taubenschlag und Hühnerstall, in der aber keine Taube und kein einziges Huhn hausen möchte. Es ist gar nicht nötig, ein veritables Chalet aufzustellen, denn in besagter Remise soll nämlich nur hartes Brot hinterlegt werden. Solches Brot mögen viele Haustiere offensichtlich gerne fressen. Es ist klar, dass sie nur jenes Brot gefahrlos knabbern können, das an genügend Luft hart geworden und nicht von Fäulnis befallen ist. Sonst schlägt das auf den tierischen Magen und macht Schmerzen. Das möchte man keinem Pferd, keiner Kuh und auch keinem Esel gönnen.
Es ist anzunehmen, dass immer mal wieder ein Einfaltspinsel verdorbenes Brot in die Hütte wirft. Das ist zweifellos sehr ärgerlich. Es ist begreiflich, dass der Empfänger der milden Gaben dem Überbringer der Delikatessen eine Lektion erteilen will. Das ist aber äusserst schwierig und eine heikle Sache. Selbst mir fällt kein kluges Vorgehen ein, um genau diejenigen zu treffen, welche sich beim Brotspenden versündigt haben.
Aber gleich zu einem Rundumschlag gegen alle auszuholen, ist ebenso rücksichtslos. Es ist schlicht für all jene eine widerliche Beleidigung, die sich das folgende Bild gefallen lassen müssen: Zur allgemeinen Abschreckung und Aufklärung auf dem Ziegeldach des Verschlages deponiert, liegen da die Corpora Delicti gleich in multipler Ausführung – seit Tagen, seit Wochen, seit Monaten. Da ist Brot Wind und Wetter ausgesetzt. Es ist längst aufgequollen zu einer ekelerregenden Masse, die der Aufschwemmung in einem Klärbecken der Abwasserreinigungsanlage gleicht. Geht man näher hin, um sich das Ereignis genauer zu betrachten, kann man noch in einem komplett durchnässten Sichtmäppchen lesen: «Was sind das für Sauhünd, solches Brot bringen. Wir sind keine Abfallentsorgung.»
Es hat ein Wüterich offenbar gleich mal zu einem gewaltigen Rippenstoss ausgeholt, hat ein ergötzliches Ortsschild kreiert und haut es gleich allen um die Ohren, die da vorbeikommen.